Bronzezeitliche Ehrensteine in Norditalien - Vorläufer der etruskischen Kunst?
Italien 2009

Die Herkunft der Etrusker ist immer noch geheimnisvoll. Von der antiken Vorstellung, sie seien über See aus Kleinasien gekommen, rückt man zwar immer mehr ab, hat aber dennoch keine passende Erklärung als Ersatz gefunden. Folgende Notiz gibt zu denken:
„Es bildeten sich in der Bronzezeit die Ras-Völker (Raetia, „Riesleute“), deren südliche Ausläufer vielleicht die Etrusker waren. Die Etrusker kamen allem Anschein nach nicht zur See nach Italien. Als Roms Frühgeschichte begann, war keine Seestadt Etruriens von irgendwelcher Bedeutung bekannt. Die etruskischen Mythen sprechen von einer nördlichen Herkunft des Stammes. Linguistische Zusammenhänge mit den Ras-Völkern sind greifbar.“ Merkenschlager, Friedrich (1934): Zwischen Hünengrab und Pfahlbau (Berlin, S. 42)
Wenn wir die antike Vorstellung von der kleinasiatischen Herkunft der Etrusker retten wollen, dann müßte dieses Volk durch den ganzen Balkan nach Norden gezogen und über Venetien in die Toskana gekommen sein. Für diesen ausgedehnten Wanderweg gibt es keine Zeugnisse oder Hinweise, er ist unwahrscheinlich. Bliebe die Einwanderung aus dem direkten Norden, das heißt: über die Alpen, denkbar.
Hier setzte unsere Forschung während unserer Toskana-Fahrt an. Wir besuchten Pontremoli am Magra-Fluß, denn dort befindet sich in der Burg Castello del Piagnaro ein kleines Muesum mit seltsamen Steinfiguren, Menhir-Stelen genannt, wie sie für die Bronzezeit recht häufig, aber dennoch kaum bekannt sind. Sie wurden im ganzen Bereich der Lunigiana (nördlichste Berge der Toskana) gefunden. Der Initiator des Museums, Augusto Cesare Ambrosi hat hier seit 1975 diese seltsamen Steinmale zusammengetragen sowie einen Bericht darüber veröffentlicht (1969 in La Spezia und 1988 in Genua). Anati schrieb ebenfalls darüber (1981).
Bei den Figuren handelt es sich um flache Stelen aus Sandstein mit menschlichen Zügen, stark abstrahiert und betont männlich-kriegerisch mit Messern oder Dolchen, seltener weiblich mit Fruchtbarkeitsmerkmalen wie z.B. Brüsten und Schmuck.

pontremoli 4Zwei Krieger mit Dolch (Museum in Pontremoli)

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Weibliche Stelen in Pontremoli

Manchmal sieht man Augen oder eine Nase, fast nie einen Mund. Typisch ist das U als Kennzeichenung des Gesichts. Hände sind häufig zu sehen, aber der Unterleib oder die Beine fast nie. Die Formen sind so zurückhaltend und sparsam, daß man nicht immer sicher ist, was gemeint war. Und doch handelt es sich um Kunstwerke, die wahrscheinlich bestimmte Personen wiedergeben.

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Kopflose Stele im Museum Pontremoli

Bei den Stelen wurden keine Gräber gefunden, weshalb man einerseits den zeitlichen Zusammenhang schwer feststellen kann, andererseits auch nicht mehr von Grabsteinen sprechen sollte. Ich möchte sie Ehrensteine nennen, aufgestellt zur Erinnerung an ein Verdienstfest oder eine Heldentat. Manche Männer halten einen Stab, was dann nicht auf einen Krieger sondern wohl auf einen Priester hinweist, der Messungen vornahm.
Es gibt auch sehr primitive oder dekorative Figuren, denen man kaum ansieht, daß sie Menschen oder Köpfe darstellen. Manchmal sind nur die Köpfe erhalten, sie sehen aus wie breite Hüte.
pontremoli 1pontremoli 2

Auf einem ist sogar in Höhe der Augen die Jahreszahl 1907 eingehämmert worden; dieser Stein wurde bis 1961 für einen Brunnen mißbraucht. Vermutlich hat man ihn nicht als vorgeschichtliche Skulptur erkannt, so abstrakt ist diese Gestalt.

 

Bruchstücke von Stelen wurden auch in Hausmauern gefunden. Eine nicht geringe Zahl gut erhaltener Stelen dürfte sich in Privatsammlungen befinden, wie das in diesem an Altertümern so reichen Land häufig ist.
Die früheste Entdeckung einer Stele in der Toskana wird von 1827 berichtet, die nächsten dann von La Spezia 1886, und seit etwa vierzig Jahren geht man sorgfältig mit diesen steinernen Zeugen um. Wie alt sie sind, weiß man leider nicht. Man unterscheidet verschiedene Phasen je nach der Gestaltung, und setzt die Mehrzahl der Steine in die jüngere Bronzezeit um 1200 v.Ztr. an, was angesichts des völligen Fehlens weiterer Anhaltspunkte rein hypothetisch ist. Andere Datierungen schieben sie noch einmal weiter in die dunkle Vorgeschichte zurück, in die „Kupferzeit“ zwischen 3000 und 2500 v.Ztr. Die jüngsten Figuren dürften aus etruskischer Zeit stammen oder noch jünger sein, sie tragen Namen in Runenschrift und gelten daher als eisenzeitlich. Sie sind nun nicht mehr so abstrakt sondern gleichen einfachen Statuen.

Ein sehr weites Verbreitungsgebiet

Erstaunlich ist, daß diese Art von Bildsteinen mit praktisch identischen Formen der Abstraktion, der Waffentypen und der Bearbeitungsweise in einem sehr großen Bereich gefunden wurden, nämlich in der fernen Ukraine, im Kaukasus, in Saudi-Arabien, in Deutschland und Frankreich (dort über 150 Stück), sodann vor allem auf den Inseln Korsika und Sardinien, zahlreich auch in West- und Südspanien und in Portugal. Das italienische Gebiet von Lunigiana mit dem Museum in Pontremoli ist eins der reichsten an diesen Stelen, die sich nördlich bis in den Alpen, in der Schweiz z.B. in Aosta, und in Österreich finden. Die deutschen Figuren stammen aus zwei Orten bei Halle a.d. Saale und aus Dingelstedt (sogenannter "verzierter Menhir") in Huy..

stele arabienStele Baku

Stele in Arabien (Plakat einer Ausstellung in Berlin) - Stele in Baku (Azerbeidschan, Kaukasus)

Die Stele in Baku (auf dem Marktplatz) hat gewisse Ähnlichkeit mit den Figuren von Pontremoli.
Das überraschende Beispiel aus Arabien war monatelang als Plakat in Berlin zu sehen als Werbung für eine Ausstellung im Pergamon-Museum, wo diese eindrucksvolle Figur zusammen mit zwei weiteren solchen Stelen, die weniger charakteristisch wirken, als Glanzstück den Besucher in einem geheimnisvoll abgedunkelten Raum empfing. Dieser arabische Krieger trägt den Dolch am Gürtel, einen großen Reif um den Hals (den ‚keltischen‘ Torques) und als einzige menschliche Andeutung einen Kopf mit Augen und Nase, recht typisch für diese Gattung von Ehrensteinen.

Beispiele aus Extremadura in Spanien und aus Portugal gibt es genügend, sie sind von erstaunlicher Gleichartigkeit. Auch in Aquitanien in Westfrankreich haben wir solche Figuren gesehen. Die genaue Wiederholung derselben Kunstformen macht nachdenklich: Hat sich hier eine religiöse Strömung über ganz Europa und Westasien verbreitet, oder sind hier Krieger mit Familien weit herumgezogen und haben mitten in andersartigen Bevölkerungen ihre Einzelzeugnisse hinterlassen? Vielleicht waren sie Nachfolger der Horra, jener ersten Mettalurgen, die noch anikonische Zeugnisse schufen, aber schon hier und da den Weg zur abstrakt-bildlichen Darstellung freimachten.
Vermutlich waren es diese Bronze-Krieger, die den Grundstein zu den darauffolgenden Schriftzivilisationen legten, wie zu Anfang am Beispiel der Etrusker nahegelegt. In diesem Übergangsbereich zwischen Bronzezeit und entwickelter Schriftkultur liegen noch viele unbekannte Ereignisse, die zu erforschen eine schöne Aufgabe wäre.

Literatur:
Ambrosi, Augusto Cesare 1969: Lunigiana Archeologica. Guida al Deposito Archeologico di Casola Lunigiana e alle statue–stele della Provincia di Massa Carrara. (La Spezia)
Anati, Emmanuel 1981: Le statue-stele della Lunigiana. I testimoni dell’ultima rivoluzione culturale della preistoria. Collana: Le Orme dell’Uomo. Jaca Book, Milano.
Merkenschlager, Friedrich (1934): Zwischen Hünengrab und Pfahlbau (Berlin)
Topper, Uwe (2003): horra. Die ersten Europäer (Tübingen)

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